„Gott schickte den Hurrikan Katrina“ – Kultur, Glaube und Katastrophen

Welche Rolle spielt die Kultur beim Reagieren auf Katastrophen?

Warum leben Menschen freiwillig in der Nähe eines aktiven Vulkans? Warum kehren Flut- oder Erdbebenbetroffene früh in Gefahrengebiete zurück? Warum funktionieren internationale Maßnahmen zur Katastrophenvorsorge vor Ort nicht, stoßen auf Unverständnis oder gar Ablehnung bei den Betroffenen? Wissenschaftler um Prof. Dr. Fred Krüger vom Institut für Geographie der FAU haben sich federführend im aktuellen Katastrophenbericht des Internationalen Roten Kreuzes/Roten Halbmonds der Bedeutung von Kultur und gesellschaftlichen Prozessen  in betroffenen Gebieten gewidmet. Ein wichtiger Aspekt, der jedoch bei der Katastrophenhilfe bisher nicht ausreichend berücksichtigt worden ist.

Kultur im weitesten Sinne – und hier oft Religion – nimmt einen nicht zu unterschätzenden Einfluss darauf, wie Gesellschaften Katastrophen beurteilen und mit diesen umgehen. Für Außenstehende kann dies den Eindruck von Irrationalität und Fatalismus machen – eine, laut Krüger, oft arrogante und gefährliche Fehleinschätzung. Ein aktuelles Beispiel stellen traditionelle Beerdigungen in Liberia dar, wo zum Abschied den Toten ein letztes Mal die Hand zum Gebet gehalten oder ein Kuss auf die Stirn gegeben wird. Durch die derzeitige Ebola-Epidemie besteht bei solch traditionellen Beerdigungen ein sehr hohes Ansteckungsrisiko, aber trotz Warnungen wollen Angehörige nicht auf ihre Riten verzichten. Aber wer hat versagt: die Betroffenen vor Ort oder die internationale Helfergemeinschaft?

Das Phänomen, dass religiöse und kulturelle Vorstellungen so stark wirken, dass sie zu Gefahren führen oder Hilfe und Präventionsarbeit erschweren, ist allerdings keineswegs auf indigene Kulturen begrenzt. So finden sich diese auch in vermeintlich aufgeklärten westlichen Gesellschaften. So wurde zum Beispiel in New Orleans der Hurrikan Katrina als Ausdruck des Zorns Gottes über das Verhalten der Einwohner interpretiert. Oder Politiker in den USA und Großbritannien streiten auf Grund ihres Glaubens, ihrer ideologischen Prägung oder strategischen Interessen die Existenz des Klimawandels und dessen Folgen ab und verweigern dementsprechend Maßnahmen, um gegenzusteuern und vorzubeugen.

Wie lässt sich Katastrophenhilfe an die kulturellen Gegebenheiten anpassen?

Wie sollen Katastrophenhelfer mit solchen Phänomenen umgehen? Wie muss sich die „Kultur des Eingreifens“ verändern? Und wie muss sich Forschung hierzu positionieren? Diese sensiblen Fragen stehen im Zentrum des aktuellen World Disasters Report (WDR) des Internationalen Roten Kreuzes/Roten Halbmonds, dessen Thema bereits letztes Jahr in einer internationalen Konferenz an der FAU auf Initiative des Instituts für Geographie behandelt wurde. Die FAU Geographen Prof. Dr. Fred Krüger, Dr. Alexandra Titz, Benedikt Orlowski, Prof. Dr. Perdita Pohle, Dr. Klaus Geiselhart und Dr. Henning Füller widmen sich  im aktuellen WDR den Verbindungen zwischen Kultur, Risiko und dem Umgang mit Katastrophen und damit, wie Katastrophenhilfe in  die jeweiligen vorherrschenden kulturellen und im Alltag verankerten Vorstellungen eingepasst werden kann.

Wichtig ist es, die Elemente der Alltagswelt vor Ort zu identifizieren, die für die Hilfe bei Katastrophen nutzbar gemacht werden können.  Damit Hilfe greifen kann, ist es erforderlich zu erkennen, welche Kompromisse hierzu notwendig sind. Christliche Gemeinden in Tuvalu zum Beispiel wiesen aus religiösen Motiven die Existenz der Erderwärmung und den Zusammenhang mit Flutkatastrophen zurück. Diese sah man dort als Bestrafung durch Gott an. Durch intensive Informationsarbeit und Beschäftigung mit den kulturell-religiösen Vorstellungen der Bevölkerung  schafften es die beteiligten Hilfsorganisationen, lokale Vorstellungen mit wissenschaftlichen Fakten in Einklang zu bringen. So wurde die Bevölkerung über die unmittelbaren Folgen von drohenden Flutkatastrophen für ihre Existenz aufgeklärt und es gelang, zu zeigen, dass Erderwärmung und ihre Folgen das Resultat menschlichen Handelns sind. Die Hilfsorganisationen lernten andererseits, sehr viel sensibler und würdevoller mit den Überzeugungen und Praktiken vor Ort umzugehen. In der Folge konnten Projekte zur Katastrophenvorbeugung auf den Weg gebracht werden, die die Situation in Tuvalu deutlich sicherer machten.

Der World Disasters Report wird seit 1993 von der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften herausgegeben. Hier werden Analysen, Fakten und aktuelle Entwicklungen zu Katastrophen und Katastrophengebieten zusammengetragen und es wird auf die drängendsten Probleme aufmerksam gemacht. Der WDR 2014 kann kostenlos bei www.ifrc.org/wdr heruntergeladen werden.

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Fred Krüger
Tel.: 09131/ 85-22641
fred.krueger@fau.de