Das Zentrum der Milchstraße

Foto des H.E.S.S.-Arrays in Namibia (Foto: C. Föhr, MPIK)
Foto des H.E.S.S.-Arrays in Namibia (Foto: C. Föhr, MPIK)

Erlanger Astrophysiker erforschen Beschleuniger galaktischer kosmischer Strahlung mit beispielloser Energie

Einem internationalen Forscherteam unter federführender Beteiligung des Erlangen Centre for Astroparticle Physics (ECAP) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) ist es gelungen, zum ersten Mal eine Quelle galaktischer kosmischer Strahlung mit Petaelektronvolt-Energie zu identifizieren: Das supermassive schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße. Eine detaillierte Analyse neuester Daten aus den Teleskopen des High Energy Stereoscopic System (H.E.S.S.) legt diesen Schluss nahe. Seit mehr als 10 Jahren kartographieren Wissenschaftler mit diesem Teleskop in Namibia das Zentrum der Milchstraße in höchstenergetischer Gammastrahlung. Die Ergebnisse werden am 16. März 2016 im Fachjournal Nature veröffentlicht.

Die Quellen der kosmischen Strahlung am Himmel sichtbar machen

Unsere Erde ist ständig dem Bombardement hochenergetischer Teilchen aus dem Weltall ausgesetzt. Dabei handelt es sich um Protonen, Elektronen und Atomkerne, die gemeinhin als kosmische Strahlung bezeichnet werden. Die Frage, welche astrophysikalischen Quellen die kosmische Strahlung produzieren, treibt die Wissenschaftler schon seit mehr als einem Jahrhundert um. Das Problem: Die Teilchen sind elektrisch geladen, weshalb sie in interstellaren Magnetfeldern von ihrer geraden Bahn abgelenkt werden. Aus diesem Grund zeigt ihre Ankunftsrichtung nicht auf ihren Produktionsort zurück. Glücklicherweise jedoch treten die Teilchen der kosmischen Strahlung in der Nähe ihrer Quellen häufig mit interstellarem Gas oder Photonen in Wechselwirkung; dabei wird hochenergetische Gammastrahlung produziert, die die Erde auf geradem Weg erreicht. „Diese Gammastrahlung können wir ausnutzen, um die Quellen der kosmischen Strahlung am Himmel sichtbar zu machen“, sagt Christopher van Eldik, Professor am Erlangen Centre for Astroparticle Physics (ECAP) der FAU und stellvertretender Direktor der H.E.S.S.-Kollaboration.

Hochenergetischer Gammastrahlung am Himmel entdeckt

Wenn Gammastrahlung auf die Erdatmosphäre trifft, produziert sie kurze Lichtblitze, die von großen Spiegelteleskopen mit schnellen Lichtsensoren erfasst werden können. Mit dieser Technik wurden in den letzten Jahrzehnten mehr als 100 Quellen hochenergetischer Gammastrahlung am Himmel entdeckt. H.E.S.S., das in Namibia von 150 Wissenschaftlern aus 12 Nationen betrieben wird, ist das zurzeit empfindlichste Instrument für ihren Nachweis. Forscher der FAU tragen maßgeblich zum Erfolg des Projekts bei: Neben der Auswertung der Messdaten übernehmen sie Aufgaben im Management und bei der Planung und technischen Koordination der Beobachtungen.

Was bisher bekannt war

Ein kosmisches Pevatron im Zentrum der Milchstraße. Künstlerische Darstellung der Prozesse, die zur Entstehung der Gammastrahlung beitragen. Protonen (blaue Kugeln), die von Sagittarius A* (helle Quelle im Zentrum) beschleunigt werden, wechselwirken mit Molekülwolken der Umgebung. Bei der Wechselwirkung werden unter anderem Pionen erzeugt, die fast sofort zu Gammastrahlungsphotonen zerfallen (gelbe Wellen). Im Hintergrund: Aufnahme der Milchstraße im sichtbaren Licht (Illustration: Dr Mark A. Garlick/ HESS Collaboration)
Ein kosmisches Pevatron im Zentrum der Milchstraße. Künstlerische Darstellung der Prozesse, die zur Entstehung der Gammastrahlung beitragen. Protonen (blaue Kugeln), die von Sagittarius A* (helle Quelle im Zentrum) beschleunigt werden, wechselwirken mit Molekülwolken der Umgebung. Bei der Wechselwirkung werden unter anderem Pionen erzeugt, die fast sofort zu Gammastrahlungsphotonen zerfallen (gelbe Wellen). Im Hintergrund: Aufnahme der Milchstraße im sichtbaren Licht (Illustration: Dr Mark A. Garlick/ HESS Collaboration)

Bisher war bekannt, dass kosmische Strahlung mit Energien bis zu etwa 100 Teraelektronvolt (1 TeV = 1012 eV, das entspricht etwa dem 1000-milliardenfachen der Energie des sichtbaren Lichts) in der Milchstraße erzeugt wird. Jedoch legen theoretische Argumente und die direkte Vermessung der kosmischen Strahlung nahe, dass diese Teilchen in unserer Galaxie bis zu Energien von mindestens einem Petaelektronvolt (1 PeV = 1000 TeV = 1015 eV) beschleunigt werden sollten. Doch während in den letzten Jahren zahlreiche Quellen entdeckt wurden, die kosmische Strahlung zu Multi-TeV-Energien beschleunigen, blieb die Suche nach den Beschleunigern der höchstenergetischen galaktischen kosmischen Strahlung bislang erfolglos.

Im Fachjournal Nature veröffentlicht

Die Analyse weiterer H.E.S.S.-Beobachtungen aus den Jahren 2004 bis 2013, die die Forscher nun im Fachjournal Nature veröffentlichen, wirft jetzt neues Licht auf die Beschleunigungsprozesse im Galaktischen Zentrum. Schon 2006 hatte H.E.S.S. eine starke kompakte Quelle sowie ein ausgedehntes Band diffuser höchstenergetischer Gammastrahlung im Galaktischen Zentrum nachgewiesen. Der Nachweis dieser diffusen Strahlung, die entsteht, wenn kosmische Strahlung mit Gasvorkommen in dieser Gegend wechselwirkt, ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass sich eine Quelle kosmischer Strahlung in dieser Region befinden muss; die Quelle selbst konnten die Forscher seinerzeit jedoch nicht eindeutig identifizieren.

 

„Über die letzten Jahre haben wir jedoch nicht nur neue Daten gesammelt, sondern auch unsere Analysetechniken verfeinert. Deshalb sind wir jetzt in der Lage, zum ersten Mal die räumliche Struktur und die Energie der kosmischen Strahlung im Galaktischen Zentrum zu bestimmen“, fasst van Eldik die Arbeit der letzten Jahre zusammen. Die bisher beispiellosen Messungen zeigen, dass es im Galaktischen Zentrum einen Teilchenbeschleuniger gibt, der Protonen auf Energien von bis zu einem Petaelektronvolt beschleunigen kann. Eine solche Quelle nennen die Forscher ein „Pevatron” — in Analogie zum „Tevatron“, dem ersten Teilchenbeschleuniger auf der Erde, welcher eine Energie von 1 Teraelektronvolt erreicht hat.

Mehrere Beschleunigungsregionen sind vorstellbar

Der Zentralbereich der Milchstraße beherbergt viele Objekte, die kosmische Strahlung großer Energie erzeugen können. „Dennoch ist das supermassive schwarze Loch im Galaktischen Zentrum, das Sagittarius A* genannt wird, die plausibelste Quelle der PeV-Protonen”, sagt Felix Aharonian vom Max-Planck-Institut für Kernphysik Heidelberg (MPIK) und Dublin Institute for Advanced Studies (DIAS) und ergänzt: „Mehrere Beschleunigungsregionen sind vorstellbar, entweder in der unmittelbaren Umgebung des schwarzen Lochs oder etwas weiter außerhalb, wo ein Teil des Materials, das in Richtung des schwarzen Lochs fällt, wieder herausgeschleudert und möglicherweise in der Umgebung weiter beschleunigt wird.“

Ist die Vermutung korrekt, hätte das dramatische Konsequenzen

Die Vermessung der Gammastrahlung aus dem Galaktischen Zentrum liefert den Wissenschaftlern deutliche Hinweise darauf, dass Sagittarius A* Protonen auf eine Energie von bis zu einem PeV beschleunigt. Die Messungen zeigen aber auch, dass diese Quelle allein den auf der Erde gemessenen Fluss der kosmischen Strahlung nicht aufrechterhalten kann. „Wenn Sagittarius A* aber in der Vergangenheit aktiver war”, erläutert van Eldik das Argument der Forscher, „dann könnte sie tatsächlich für die gesamte galaktische kosmische Strahlung verantwortlich sein.“ Ist diese Vermutung korrekt, so hätte das dramatische Konsequenzen für die 100 Jahre alte Diskussion über den Ursprung der galaktischen kosmischen Strahlung: Das Paradigma, laut dem ihre Bestandteile hauptsächlich durch Supernovaüberreste – Schockwellen, die nach der Explosion massiver Sterne entstehen – bis zu PeV-Energien beschleunigt werden, müsste dann relativiert werden.

Originalveröffentlichung:

Acceleration of Petaelectronvolt Protons in the Galactic Centre
H.E.S.S.-Kollaboration
Nature advance online publication, 16 March 2016
Korrespondierende Autoren: F. Aharonian, S. Gabici, E. Moulin et A. Viana
DOI 10.1038/nature17147
http://www2.cnrs.fr/en/22.htm

Weitere Informationen:

Webseite des HESS-Instruments: www.mpi-hd.mpg.de/HESS
Informationen zum H.E.S.S-Instrument: www.mpi-hd.mpg.de/HESS/pages/about
Webseite des ECAP: www.ecap.nat.uni-erlangen.de

Kontakt:

Prof. Dr. Christopher van Eldik (stellvertretender Direktor der HESS-Kollaboration)
Erlangen Centre for Astropartile Physics
christopher.van.eldik@physik.uni-erlangen.de
Tel.: +49 9131 85-27062