„Der Klimawandel ist schon da – ohne Anpassung geht es nicht.“

Prof. Dr. Wolfgang Kießling. (Bild: FAU/David Hartfiel)
Prof. Dr. Wolfgang Kießling. (Bild: FAU/David Hartfiel)

Zur Veröffentlichung des Weltklimaberichts betont FAU-Forscher Wolfgang Kießling die Bedeutung von bestandsfähigen Entwicklungen

Dass der Klimawandel weltweit angekommen ist, können wir bereits spüren. Doch wie sehen die konkreten Folgen im Detail aus? Wo sind wir besonders verwundbar und wie passen wir uns am nachhaltigsten daran an? Damit befasst sich der nun veröffentlichte Bericht der Arbeitsgruppe II des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), den wir auch als Weltklimabericht kennen. Einer der Autoren kommt von der FAU: Prof. Dr. Wolfgang Kießling ist Inhaber des Lehrstuhls für Paläoumwelt am GeoZentrum Nordbayern und befasste sich bei seiner Arbeit am Weltklimabericht vor allem mit den paläontologischen Aspekten des Klimawandels und Klimaeffekten in den Ozeanen.

Planen statt reagieren

„Eine der wichtigsten Botschaften dieses rund 3600 Seiten starken Berichts ist meines Erachtens die Tatsache, dass wir immer noch zu kurzfristig reagieren statt Extremereignisse zu antizipieren und damit zu planen. Wir fokussieren uns zu sehr auf die Minderung von Emissionen und zu wenig auf die Anpassung an den Klimawandel, obwohl dieser schon längst da ist. Dadurch entsteht eine Anpassungslücke“, so Kießling.

In diesem Zusammenhang hebt der Paläobiologe die Bedeutung von naturbasierten Adaptionen hervor. Wenn man jetzt mit ihrem Einsatz beginnt, könne das langfristig noch Früchte tragen, sagt Kießling. Betrachtet man beispielsweise die Meere und den steigenden Meeresspiegel, der die Küsten bedroht, müssten Korallenriffe und Feuchtgebiete in Küstennähe besser gesichert werden, da diese im Gegenzug ein weitaus nachhaltigerer und effektiverer Küstenschutz seien als Betonwände.

Funktionieren nur zusammen: Anpassung und Emissionsreduktion

Das bedeutet aber nicht, dass die Verringerung von Treibhausgasen keine Rolle spiele, erklärt der FAU-Forscher. Vielmehr gehe es um ein Zusammenführen der beiden: Die Anpassung an den Klimawandel müsse Hand in Hand gehen mit der Emissionsreduktion. Diese Herangehensweise wird auch klimaresiliente Entwicklung beziehungsweise Climate Resilient Development genannt und Kießling betrachtet sie als den „Schlüssel für eine gute Zukunft“.

Konkret bedeute das für sämtliche Entscheidungen, ob gesellschaftlich, politisch oder ökonomisch, dass dem Klimawandel eine zentrale Position eingeräumt werden müsse: Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit, Chancengleichheit und der Schutz der Artenvielfalt müssten in den Mittelpunkt rücken.

Artenvielfalt irreversibel betroffen

Auf die Artenvielfalt werde sich der Klimawandel, laut Bericht der 270 Autoren, in jedem Fall negativ auswirken, unabhängig von erfolgten oder geplanten Maßnahmen. Mittel- und langfristig werde sich vor allem in den Tropen und an den Polen ein großer Artenverlust zeigen, weil dort der Klimawandel am schnellsten für Veränderungen sorgt. Für die costa-ricanische Goldkröte oder die australische Bramble-Cay-Mosaikschwanzratte sei es beispielsweise schon zu spät. Sie gelten durch den Klimawandel als ausgestorben.

Da abzusehen sei, dass die 1,5-Grad-Grenze der globalen Mitteltemperatur bereits vor 2040 überschritten werde, also rund 60 Jahre früher als erhofft, befürchten Kießling und seine IPCC-Kollegen irreversible Schäden. Auch dann, wenn danach durch substantielle Minderung von Treibhausgasemissionen eine Abkühlung eintreten sollte. Neben diesen Temperaturveränderungen sorge die Verlagerung von Lebensräumen verschiedener Tier- und Pflanzenarten polwärts einerseits für absterbende Ökosysteme in den Tropen, andererseits für neue Konkurrenzbeziehungen in höheren Breiten.

Migrationsbewegungen ermöglichen – zu unserem eigenen Schutz

Die Gefährdung der Biodiversität, ob im Meer oder auf dem Land, habe massive Auswirkungen auf das Leben des Menschen, betonen Kießling und seine Co-Autoren aus aller Welt. Der Mensch lebt und profitiert von einem perfekt abgestimmten Kreislauf, der von einer hohen Artenvielfalt abhängig ist. Laut dem Beitrag der Arbeitsgruppe II sind rund 3,3 Milliarden Menschen durch den Klimawandel besonders verwundbar. Das betreffe besonders die, die in Küstennähe leben und dem steigenden Meeresspiegel direkt ausgesetzt oder vom Fischfang abhängig sind.

Um die Artenvielfalt von Tieren und Pflanzen zu erhalten, müssten deshalb neue Lebensräume geschaffen werden, zum Beispiel durch die Vergrößerung von Naturschutzgebieten und deren Anpassung an Klimaveränderung, etwa durch die Schaffung von Korridoren für klimabedingte Migration. Aktuell gebe es hier noch zu viele Barrieren: Waldbewohnende Arten treffen auf ausgedehnte Agrarflächen oder Städte, Meeresbewohner auf überfischte Gebiete oder Abwässer von dicht bewohnten Küstenregionen.

Über den IPCC und seine Berichte

Der 1988 gegründete IPCC – der Weltklimarat – ist eine Institution der Vereinten Nationen und setzt sich mit dem Klimawandel und der daraus folgenden Gefährdung für Mensch und Gesellschaft sowie für Ökosysteme und biologische Vielfalt auseinander.

Die vom IPCC beauftragten internationalen Forschenden bewerten in Berichten regelmäßig das aktuelle wissenschaftliche Wissen zum Klimawandel, zu seinen Folgen und zu Anpassungsmöglichkeiten, um eine Grundlage für politische Entscheidungen zu bieten. Als Basis dient ihnen dabei die gesamte, seit dem vorherigen Bericht erschienene Literatur. Im Fall der Arbeitsgruppe II wurden für den diesjährigen Bericht circa 34.000 Quellen ausgewertet.

Etwa alle sieben Jahre veröffentlicht der IPCC einen Sachstandbericht, der in der Regel aus drei Bänden besteht. Diese werden jeweils von einer Arbeitsgruppe verfasst. Dabei konzentriert sich Arbeitsgruppe I auf die naturwissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels, Arbeitsgruppe II auf die Verwundbarkeit von sozioökonomischen und natürlichen Systemen durch den Klimawandel und dessen Folgen sowie Anpassungsmöglichkeiten, während Arbeitsgruppe III politische und technologische Maßnahmen zur Minderung des Klimawandels bearbeitet.

Erde in Not

In unserem Forschungsmagazin friedrich spricht Prof. Dr. Wolfgang Kießling über seine Arbeit beim Weltklimabericht und erläutert, wie es um die Erde, insbesondere unsere Ozeane, steht.

Zum Beitrag auf fau.de

Zum Forschungsmagazin friedrich

Gespräche mit Prof. Wolfgang Kießling

Podiumsdiskussion

Am 9.3.2022 von 17:00 bis 19:00 Uhr tauscht sich Kießling bei einer Podiumsdiskussion aus mit Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Die Veranstaltung findet sowohl in Präsenz als auch über einen Online-Stream statt.

Weitere Informationen zur Veranstaltung

Forschungstalk

Im Forschungstalk zum Thema Nachhaltigkeit spricht auch der FAU-Präsident Joachim Hornegger mit Wolfgang Kießling darüber, wie es um unsere Erde steht.

Zur Aufzeichnung auf dem FAU Youtube-Kanal

Weitere Informationen

https://www.ipcc.ch/

https://www.de-ipcc.de/

Prof. Dr. Wolfgang Kießling
Tel: +49 9131 85-26959
wolfgang.kiessling@fau.de